Flucht durchs Minenfeld vor 60 Jahren – Point Alpha ehrt Berthold Dücker zum Jahrestag

Gastbeitrag von Wolfgang Weber

Genau 60 Jahre ist es her, als Berthold Dücker als 16-Jähriger mit einer waghalsigen Flucht durchs Minenfeld sein Leben für Freiheit und Selbstbestimmung riskierte.

Zu diesem besonderen Jahrestag hatten der Förderverein Point Alpha e.V., die Point Alpha Stiftung und die Point-Alpha-Stadt Geisa ein Überraschungs-Empfang organisiert, bei dem Weggefährten an die „Republikflucht“ aus der DDR erinnerten und sich auf eine Zeitreise begaben, die mit der Verleihung des „Geiserämter Dickschädel-Orden“ endete.

Es ist der 24. August 1964: Ein Teenager aus Geismar schleicht sich im Blaumann am Wachturm vorbei, durchschneidet mit der Kneifzange den Doppelzaun. Unverletzt überwindet er die innerdeutsche Grenze und landet in Setzelbach.

Um der Unterdrückung, der Bespitzelung und den Repressalien des DDR-Unrechtregimes zu entgehen, machten sich damals Tausende aus der DDR auf den gefährlichen Weg in den Westen.

„Was ist das bloß für ein Land, in dem Eltern ihre Kinder zum Lügen erziehen müssen“, hörte er im heimischen Bauernhof seinen Vater Josef schimpfen. Der Konflikt zwischen Glauben und Politik begann sich zu entfalten.

Zudem wollte er Journalist werden, so wie er es oft im Westfernsehen heimlich gesehen hatte, in der Welt herumreisen und über alles frei sprechen und schreiben können.

„Sein Ziel, aus der Unfreiheit zu entkommen, nahm Formen an“, fasste Geisas Bürgermeisterin Manuela Henkel, das dramatische Fluchtgeschehen zusammen.

Unter dem Vorwand eine Reisegruppe aus Büdingen durch die Ausstellung zu führen, war Dücker ins Haus auf der Grenze gelockt worden. Doch stattdessen ließen dort im Forum Freunde, Bekannte und Verwandte die Lebensstationen noch einmal Revue passieren.

Im Rückblick an die gemeinsame Kindheit in Geismar erinnerte sich Cousine Gusti Spiegel an „einen lebendigen Jungen, der schon früh mit Zettel und Stift zur Berichterstattung bewaffnet war“. Auch für so manchen Schabernack war der kleine Berthold zu haben, was seine Mutter Anna rätseln ließ: „Was soll aus dem Kuiz nur mal wär’n…“?

Doch diese Sorge war unbegründet. Denn über einen erfolgreichen Werdegang im Westen konnte Martin Hank, Geschäftsstellen- und Anzeigenleiter des Lauterbacher Anzeigers, berichten.

Im Vogelsberg startete Dücker nicht nur zu seiner Redakteurs-Karriere durch, sondern dort wurde der Hobby-Fastnachter für eine Kampagne sogar zum Tumaba-Prinzen gekürt.

Nach der Friedlichen Revolution kehrte Dücker umgehend nach Thüringen zurück und engagierte sich bis zu seinem (Un-)Ruhestand als Chefredakteur der „Südthüringer Zeitung“ für den Aufbau einer freien Presse.

Anekdoten dazu lieferte der stz-Redakteur Stefan Sachs. Dücker hat als Medienmacher schonungslos aber sachlich-seriös aufgeklärt. Bestätigte wurde dies von Dr. Hans-Peter Häfner und offenbarte dem Publikum die knallharten Fragen, die ihm als Landtagsabgeordneter gestellt worden waren.

Zu Beginn hatte Raymond Walk, der erste Vorsitzende des Fördervereins Point Alpha, die rund 60 Gäste im Forum des Hauses auf der Grenze begrüßt und dabei ausführlich die Leistungen und Verdienste von Dücker für das unvergessliche Zeitzeugnis und die Point-Alpha-Familie in seinen Funktionen als Vereinsvorsitzender, Vorstandsmitglied der Stiftung, Kuratoriumsgründer, Mitglied der Stiftungsrates, Gästeführer und Zeitzeuge gewürdigt.

Federführend habe er sich dafür eingesetzt, den ehemaligen Observation Post Alpha im Fulda Gap an der innerdeutschen Grenze vor dem Abriss zu bewahren und zur Gedenk-, Mahn- und Begegnungsstätte auszubauen.

Die Entwicklung der Gedenkstätte und den Auftrag von Stiftung und Akademie vor allem hinsichtlich der aktuellen Bildungsarbeit skizzierte Benedikt Stock. Der Geschäftsführende Vorstand der Point Alpha Stiftung betonte, dass Point Alpha auch ein Ort der Zukunft darstelle, vor allem für die jüngere Generation.

Keine Frage, Berthold Dücker ist eine Ausnahmepersönlichkeit, Netzwerker, Opfer und Gestalter der Zeitgeschichte. Dies wurde auch in den Videobotschaften der ehemaligen Ministerpräsidenten Roland Koch (Hessen) und Dieter Althaus (Thüringen) sowie den Grußbeiträgen der Ministerpräsidenten a.D. von Thüringen, Bernhard Vogel und Christine Lieberknecht, sowie vom Erfurter Bischof em. Dr. Joachim Wanke deutlich.

Hervorgehoben wurden dabei seine Entschlossenheit und seine Authentizität im Einsatz für das Monument Point Alpha, sein unermüdliches Engagement für die Demokratie und die Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie für das Erinnern und Lernen der Geschichte.

Für seine Leistungen wurde Dücker bereits mehrfach ausgezeichnet, so mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Doch im Rahmen der Veranstaltung überreichte ihm Bürgermeisterin Henkel exklusiv den „Geisaer Amter Dickschädel-Orden“, die wohl persönlichste Ehrung, die vor allem seine charakterlichen Eigenschaften widerspiegele. Damit verbunden war ein Dank an Gattin Melitta.

Berthold Dücker war von der Überraschung, die ihm „die wunderbaren Menschen“ bereitet hatten überwältigt und sichtlich bewegt.

„Ich habe alles aus Überzeugung getan und wollte dem Land etwas zurückgeben“, erklärte er seinen Antrieb und verwies dabei auf die zahlreichen Mitstreiter an seiner Seite.

Wichtig sei, dass man Leute findet, die einen an die Hand nehmen, gerade, wenn man seine Familie schmerzlich vermisse. Und zum Abschluss appellierte er an alle Thüringer: „Geht wählen, damit Freiheit und Demokratie erhalten bleiben.“

In unnachahmlicher Art geht Berthold Dücker noch heute seinem Auftrag nach, dass nicht vergessen wird, was nicht vergessen werden darf: Aufmerksam spitzt die junge Generation die Ohren, wenn der 76-Jährige als Zeitzeuge im Haus auf der Grenze oder im US Camp seine Erlebnisse und die Unterschiede von Demokratie und Diktatur schildert.

Dücker hat alles für die Freiheit riskiert, so wie es andere Menschen aus entfernten Ländern auf dem Erdball heute ebenfalls tun, merkt Dücker bei seinen Führungen immer wieder an.

Der Blaumann und das Werkzeug seiner Flucht sind heute wertvolle Exponate der Ausstellung im Haus auf der Grenze, wo die Besucher auch an einer Medienstation den Erzählungen Dückers lauschen können.